(Und so wird es ein längerer Text.)
Vor Kurzem mussten wir Federbonnie, die blinde, 11jährige Dame, gehen lassen. Das ist in dem Alter nicht ungewöhnlich, aber die Begleitumstände haben uns in Gelsenkirchen unsere Grenzen aufgezeigt. Schmerzhaft für uns, aber noch viel schmerzhafter für Bonnie.
Aber von Anfang an: Als Bonnie vor einem Jahr einzog, bekam sie den Zusatz Feder-Bonnie, weil es schon eine schlecht befiederte Bonnie unter den Fußgängern gab, während Federbonnie gut ausgestattet war. Sie konnte etwas fliegen, aber sie war blind.
In der Folgezeit erkletterte sie stundenlang die Fußgängervoliere, immer hin und her, auch kopfüber am Dach, als wolle sie jeden einzelnen Quadratzentimeter einscannen.
Als sie damit durch war, entdeckte sie den Futternapf auf dem Spieltisch für sich, der fortan ihre Basis für kürzere Ausflüge, ihr Bett und ihr Thron sein sollte. Gelegentlich kam ein Hahn zu Besuch und fütterte sie, ansonsten ließ sie keinen anderen Vogel an sich und ihr begrenztes Revier.
Viele Wochen lang nutzte sie ihr Körnerbett, um den ganzen Tag lang passiv drin zu liegen und zu schlafen. Wir machten uns Sorgen, aber eine tierärztliche Untersuchung brachte keine auffälligen Ergebnisse.
Erst als viele andere Hennen um sie herum zum Jahreswechsel immer brutiger wurden, und dadurch animiert auch die Hähne immer lebhafter und aufgeregter, begann auch Bonnie immer aktiver zu werden. Sie war sehr fleißig, und es war schön anzusehen nach der langen Zeit ihres Ruhens zuvor.
Allerdings bewegte sich Bonnie so sicher und selbstverständlich, dass es schien, als hätte sie ihre Blindheit vergessen. So ließ sie sich sich Anfang Januar auf einen Kampf unter Hennen ein, den sie mit schlimm aussehenden Verletzungen im Gesicht bezahlte. Der Tierarzt konnte Entwarnung geben, Bonnie kam erst mal in einen kleinen Käfig auf dem Spieltisch, um sich auszukurieren, doch das war auf Dauer kein Zustand, denn für die Jungs war sie nun uninteressant, während die Hennen ihr beim Klettern an die Füße wollten.
Also alles raus, was zum Brüten und Drumkämpfen anregen könnte, und dann klappte es auch wieder mit Bonnie in „Freiheit“.
Zwei Wochen später, alles schien gut. Doch irgendwoher tauchte ein kleines Korkstück auf, nicht mal handtellergroß, und vermutlich über lange Zeit einfach so unbeachtet, dass es beim Ausräumen durchrutschte. Eines Nachmittags hat sich Bonnie mit einer Henne, diesmal einer anderen als zwei Wochen zuvor, so heftig darum geprügelt und war dabei so dermaßen unterlegen, dass man vor lauter Blut, getränkten Federn und den Verletzungen erst gar nicht sehen konnte, wie stark es sie erwischt hatte.
Die Tierarztprxis hatte schon zu, also wieder Krankenkäfig und Schmerzmittel.
Bonnie hatte sich über Nacht etwas im Trinknapf gewaschen und geputzt, am nächsten Morgen noch vor dem Besuch der Tierklinik wurde so das ganze Ausmaß ihrer Verletzungen deutlich – ein blindes Auge, die halbe Wachshaut und ein Bereich am Unterschnabel waren schlimm zerbissen, ebenso fehlte ein halber Fuß.
Die Tierärzte hätten sie wohl wieder zusammenflicken können. Aber wie wäre es danach weitergegangen?
-Bonnie für den Rest ihres Lebens konsequent separat setzen war keine Option.
-Ihr einen Hahn dazusetzen ebenso nicht, diese dauerhafte Einschränkung wäre für keinen Vogel hier artgerecht.
-Einen langfristigen Wüstenmodus bei den Fußgängern einführen, auch das hätte schlechte Folgen für alle Individuen in der Gruppe.
-Aus dem gleichen Grund sollten Bonnie und alle Hennen nicht künstlich hormonell behandelt, „runterreguliert“ werden.
-Bonnie in eine andere, ruhigere Gruppe oder Pflegestelle zu geben war nicht möglich, weil sie die komplette Keimkultur der Gelsenkirchener mitgenommen hätte; und so auch Erkrankungen, die längst nicht so stark verbreitet sind wie etwa Polyoma oder PBFD.
So blieb uns ohne tragfähige Perspektive für Bonnie nur, sie nicht mehr durch die lange und anstrengende Heilung zu bringen, sondern sie an diesem Morgen schon gehen zu lassen.
Es war nicht klar, wie es mit Bonnie hätte weitergehen können. Uns ist sehr schmerzlich bewusst geworden, dass wir sie nicht ausreichend schützen konnten, zumal ein Teil der Aggressionen ja von ihr selbst ausging.
Wir hatten schon mehrere blinde Vögel bei uns, sie kamen alle gut zurecht. In irgendeiner Form hatten sie realisiert, dass sie eingeschränkt sind, nichts sehen können und bestimmte konflikthafte Aktivitäten, Orte, Situationen meiden sollten
Bonnie hat das ja auch weitestgehend so gemacht, indem sie nicht mehr flog und sich ihren Weg erst mit dem Schnabel ertastete.
Aber bei den Prügeleien fehlte ihr dieser Selbstschutz, sie fühlte sich den sehenden Hennen ebenbürtig. Und so konnten wir sie nicht vor sich selbst schützen.
Liebe kleine Bonnie, es tut mir so leid, wie es gekommen ist. Du hattest immer meine ganz besondere Aufmerksamkeit, hast Dich durchgekämpft und wolltest auch weiter kämpfen. Dieses Mal bist Du auf Stärkere getroffen. Vielleicht war es charakteristisch für Dich, dass Du nicht in Stille und Frieden einfach eingeschlafen bist, sondern im Kampf unterlegen. Und dabei warst Du auch vorher schon meine tapfere Heldin!
Mach es gut da oben, wo Du nun bist, sieh Dir mit gesunden Augen alles an. Vielleicht würdest Du unsere Entscheidung nie verstehen, selbst wenn Du könntest. Aber vielleicht kannst Du sie verzeihen. Denn sie geschah aus Liebe und Sorge.
Du bleibst im Herzen, kleine Federbonnie!